In dieser Blog-Reihe untersuchen wir die globalen Makrotrends, die ein Umdenken in Bezug auf einige der grundlegenden Verantwortungsbereiche von Finanzführungskräften im Unternehmen erzwingen. Dieser Blog-Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema Vertrauen, das angesichts der aktuellen globalen wirtschaftlichen und politischen Lage immer stärker in den Fokus rückt. Im Jahr 2021 und darüber hinaus werden Finanzführungskräfte eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer Kultur des Vertrauens im Unternehmen spielen.
Der Studie „2020 EY DNA of the CFO“ zufolge herrscht seit Beginn der Pandemie große Verunsicherung. Gleichzeitig bietet sich Finanzführungskräften durch die Krise die Chance, sich in einer zentralen strategischen Rolle zu behaupten und die zukunftsorientierte Transformation des Unternehmens mitzutragen. In vielen Fällen jedoch erfordert dies tiefgreifende Veränderungen an den vorherrschenden Führungsmethoden im Finanzbereich – etwa bei der Herangehensweise an Ideale wie Vertrauen und Integrität.
Schon vor dem Ausbruch von COVID-19 wurden unter dem Stichwort Stakeholder-Kapitalismus Änderungen an den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen vorangetrieben. Seither steigt der Druck auf Führungskräfte, inklusiv, gemeinnützig und nachhaltig zu wirtschaften – ein Wirtschaftsmodell, in dem Gewinne nicht maximiert, sondern optimiert werden und nicht der Gewinn, sondern der Zweck eines Unternehmens über seine Ziele entscheidet.
Dieser Trend wird auch davon befeuert, dass Mitarbeiter ihre Stimme erheben. Sie wollen für zielorientierte Unternehmen arbeiten. Bei dieser Forderung geht es nicht nur um sie selbst. Verbraucher – Privat- ebenso wie Unternehmenskunden – möchten Produkte von Unternehmen kaufen, die beim Umgang mit ihren Mitarbeitern, ihren Kunden und der Umwelt Integrität beweisen. Sie fordern Ehrlichkeit, Transparenz, Fairness und eine bessere Gesamterfahrung.
Studien belegen, dass Unternehmen mit starker Zweckbindung schneller wachsen, rentabler wirtschaften und ein um 5 bis 7 Prozent besseres Jahresergebnis einfahren als ihre Mitbewerber, obgleich Gewinnmaximierung nicht das oberste Ziel im Stakeholder-Kapitalismus ist. Gleiches gilt für Unternehmen mit erstklassiger Governance und innovativer Ausrichtung.
Wie sich diese Entwicklung auf die Finanzfunktion auswirkt, dazu schreibt Jeff Thomson, President und CEO des Institute of Management Accountants (IMA): „Durch die Automatisierung verlagert sich der Verantwortungsbereich der Finanzfunktion stärker hin zu Unternehmensstrategie und Entscheidungsfindung, da grundlegende Buchhaltungsfunktionen von Softwareanwendungen übernommen werden. Dadurch ändert sich die Rolle des CFO. Eine weitere wichtige Entwicklung ist das Aufkommen des sogenannten ‚Stakeholder-Kapitalismus‘.“
Dazu heißt es im HBR-Artikel: „Die traditionelle Rolle des CFO als Finanzwächter eines Geschäftsbereichs wird von einer neuen Realität abgelöst: eine Realität, in der der CFO Verantwortung für das gesamte Unternehmen übernimmt. Eine Realität, in der Mitarbeiter, Gewinn und Zweck die zentralen Leistungsindikatoren sind, an denen Erfolg gemessen wird.“
Von Kritikern wurde Stakeholder-Kapitalismus als reines Marketingkonzept großer Konzerne abgetan. Ein Konzept, das angesichts sich wandelnder Bedürfnisse und Forderungen von Mitarbeitern, Partnern und Verbrauchern entwickelt wurde, um das Markenimage zu stärken. Doch es gibt eindeutige Belege, dass Unternehmen bereit sind, sich auf neue Praktiken einzulassen und neue Maßstäbe beim Thema Vertrauen und Integrität zu setzen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, konkrete Kennzahlen zu definieren, um die Vorteile des Stakeholder-Kapitalismus der allgemeinen Wirtschaftswelt zu vermitteln. Zu diesem Zweck entwickelte das Weltwirtschaftsforum den „Measuring Stakeholder Capitalism“-Index. Dieser Katalog gibt CFOs einheitliche Kriterien an die Hand, anhand derer sie den Nutzen von Investitionen in den Bereichen Mitarbeiter, Umwelt- und Klimaschutz, gesellschaftlicher Wohlstand und Governance gegenüber Stakeholdern nachweisen können.
Im Rahmen eines kooperativen Projekts, an dem EY und andere namhafte Wirtschaftsprüfer, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Investoren beteiligt waren, wurden universelle Kennzahlen und Angaben für Umweltschutz, gesellschaftliches Engagement und Governance entwickelt und veröffentlicht, die branchen- und standortunabhängig für das Unternehmensreporting herangezogen werden können. Diese Kennzahlen und Angaben wurden an vorhandenen Normen ausgerichtet, um Unternehmen das Reporting von nicht finanzbezogenen Angaben mit einheitlichen Definitionen und Begriffsbestimmungen zu ermöglichen. Laut der Studie steht zu erwarten, dass mehr als 120 Stiftungsratsmitglieder des Weltwirtschaftsforums diese Kennzahlen übernehmen und damit den Weg für eine breitere Akzeptanz innerhalb der Geschäftswelt ebnen werden.
In der Studie heißt es dazu: „Aufgrund des nachhaltigen Mehrwerts verspricht der Stakeholder-Kapitalismus vom Ideal zur Realität zu werden – insbesondere dann, wenn CFOs die Einbindung dieser Wirtschaftsform in Reporting, Unternehmenskultur und strategische Entscheidungsfindung zur Chefsache machen.“
Die technologischen Fortschritte sowie die Dynamik des Wandels, die durch cloudbasierte, mobile und digitale Technologien entsteht, transformieren die Betriebsabläufe im Finanzwesen. Die Vertrauensfrage hat durch die Corona-Krise und das Erstarken des Stakeholder-Kapitalismus, gekoppelt mit der Ungewissheit im politischen und wirtschaftlichen Umfeld, in zweierlei Hinsicht an Bedeutung gewonnen.
Zum einen benötigen CFOs und ihre Teams zuverlässige Technologien, um etwa den Daten, die ihnen zur Verfügung stehen, auch vertrauen zu können. Dazu müssen sie sich auf ihre Technologiepartner verlassen können, was die Sicherheit auf Architektur-, Unternehmens- und operativer Ebene einschließlich der Datenschutz- und Compliance-Anforderungen betrifft.
Zum anderen war 2020 in der Verbraucher- und Geschäftswelt eine zunehmende Abkehr von Unternehmen zu beobachten, die bei der Umsetzung ihrer Werte Defizite oder fehlendes Engagement erkennen ließen. Vor dem Hintergrund des Stakeholder-Kapitalismus wächst der Druck auf Unternehmen, dem historisch beispiellosen Misstrauen der Verbraucher einschlägige Konzepte entgegenzusetzen. Kunden treffen ihre Kaufentscheidungen für Technologie anhand verschiedener Faktoren. Entscheidend sind etwa die Umweltschutzbemühungen eines Unternehmens, sein Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und der Gemeinschaft sowie seine nachhaltige Bereitschaft, Kundenanforderungen zu erfüllen. Die Zeit der Vorschusslorbeeren ist vorbei.
Unternehmen mit starker Zweckbindung wachsen schneller, wirtschaften rentabler und fahren ein besseres Ergebnis ein als ihre Mitbewerber.
Vertrauen hat auch Auswirkungen auf das Talentmanagement und die Frage, wie die Finanzabteilung den zukunftsorientierten Kompetenzaufbau vorantreibt. Ein Argument der EY-Studie „How Can the CFO Evolve Today to Reframe Finance for Tomorrow?“ lautet, dass in Zukunft nicht nur die Absatz-, sondern auch die Talentmärkte flexibler werden. Dort heißt es: „Die talentiertesten Spitzenkräfte im Finanzbereich werden sich voraussichtlich dafür entscheiden, mit Unternehmen zu kooperieren, die in der Lage sind, ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln. Die Schaffung einer zukunftsorientierten Talentstrategie für das Finanzwesen auf der Basis kontinuierlicher und dynamischer Weiterbildung wird sich wahrscheinlich als maßgeblich erweisen, um sich langfristig die Loyalität und Motivation kreativer und talentierter Finanzfachkräfte zu sichern und den Herausforderungen einer von Transformationen und Umbrüchen geprägten Zukunft die Stirn zu bieten.“
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation im Unternehmen ist die Zusammenarbeit zwischen CFO und CIO – und das erfordert Vertrauen. Dazu müssen unter anderem die zentralen Berührungspunkte zwischen Finanzwesen und IT ermittelt werden, die beide Abteilungen in die Lage versetzen, einen größeren Beitrag zu den Unternehmenszielen zu leisten. Für IT-Führungskräfte haben Sicherheit und Schutz der Firmendaten oberste Priorität. Sie suchen nach Möglichkeiten, die vorhandene Technologie auszubauen und innovative Ideen zu fördern, doch gleichzeitig müssen sie das geistige Eigentum von Kunden, Mitarbeitern und dem Unternehmen absichern.
Diese doppelte Verantwortung erschwert die Realisierung innovativer Projekte ohne geschäftliche Unterbrechungen. Die Verantwortlichkeiten des CFO sind traditionell auf den finanziellen Bereich beschränkt, wobei die Bereiche Budgetierung und Rentabilitätssicherung sowie Einhaltung der Datenschutzvorschriften im Vordergrund stehen. Dieses Selbstverständnis muss mit strategischeren Zielen wie der Schaffung betriebsrelevanter Einblicke und dem Aufbau agiler Strukturen im Unternehmen in Einklang gebracht werden – eine schwierige Aufgabe, die noch dazu einen einschneidenden Mentalitätswandel erfordert.
CFOs und CIOs müssen zusammenarbeiten, um das volle Potenzial der Cloud-Computing-Technologien auszuschöpfen. Ihre Verantwortlichkeiten mögen sich unterscheiden, doch bei den Prioritäten herrscht Einigkeit. Sie wollen das Versprechen von Erfolg, Wachstum und Gewinn einlösen, das mit einem datengetriebenen Unternehmen einhergeht.
Robynne Sisco, President und CFO bei Workday, drückte es in einem Interview mit Workday CIO Sheri Rhodes folgendermaßen aus: „Es geht darum, die Finanz- und IT-Organisation an einen Tisch zu bringen, um die strategischen Ziele des Unternehmens zu erreichen. Dabei bildet eine enge Partnerschaft zwischen CFO und CIO die Basis für Innovation und Wachstum im Unternehmen. Diese Anforderung wird immer wichtiger – insbesondere im Hinblick auf den rasanten Wandel, den wir derzeit erleben.“
Wenn sich Unternehmen und Bürger 2021 langsam erholen und neu aufstellen, werden zwei Schlagwörter immer wieder fallen: Vertrauen und Integrität. Die Corona-Krise und der Stakeholder-Kapitalismus haben die Spielregeln grundlegend verändert. Unternehmen sind heute stärker denn je in der Pflicht, die Kundenerwartungen zu erfüllen und eine Vertrauensbasis aufzubauen. Die Finanzfunktion steht dabei im Mittelpunkt: Sie versorgt das Unternehmen mit entscheidungsrelevanten Daten und definiert die Kriterien für Erfolg in einem anhaltend volatilen Geschäftsumfeld. Mit dem sich abzeichnenden Ende der globalen Pandemie wächst auch die Erwartungshaltung der Führungskräfte gegenüber dem Finanzvorstand, sie in eine hoffnungsvolle Zukunft zu leiten.